Die Zukunft des Rechtsberufs wird durch Legal-Tech-Lösungen geprägt sein

Interview mit Julia Mergenthaler und Larissa Böhme zum Einsatz von Legal Tech im Rechtsbereich
 

Im Zeitalter der Digitalisierung nimmt die Relevanz von technologischen Innovationen in allen Bereichen des beruflichen Alltags kontinuierlich zu. Ein Sektor, der in den letzten Jahren besonders von dieser Entwicklung profitiert hat, ist der Rechtsbereich. Hier sorgen sogenannte Legal-Tech-Anwendungen dafür, juristische Prozesse effizienter, transparenter und zugänglicher zu gestalten. Um Licht ins Dunkel der vielfältigen Möglichkeiten, die Legal Tech bietet, zu bringen, haben wir ein exklusives Interview mit Julia Mergenthaler und Larissa Böhme geführt. Beide sind nicht nur Expertinnen auf dem Gebiet des Legal Tech, sondern leiten auch das gleichnamige Seminar bei der Bitkom Akademie.
 

Was bedeutet Legal Tech? 

Julia Mergenthaler: Legal Tech ist ein Teilbereich von "Tech in Legal" – sprich, von allen digitalen Lösungen, die im Rechtsbereich eingesetzt werden. Wir verstehen unter Legal Tech Tools und Lösungen, die die inhaltliche anwaltliche Arbeit oder das Projektmanagement mit Mandaten unmittelbar unterstützen und in manchen Fällen ersetzen. Beispiele sind die Microsoft Office Produkte oder Aktenmanagementsysteme wie iManage (Office-/Firm-Tech). 

Die Lösungen können nach Zielgruppe, nach der technischen Art der Lösung oder nach Anwendungsgebiet differenziert werden. Legal-Tech-Lösungen können zum einen Verbraucherinnen und Verbraucher als Zielgruppe haben; dabei handelt es sich um sogenannte "Access to Justice"-Lösungen wie Flightright. Zum anderen gibt es eine Vielzahl von Lösungen, die den B2B-Bereich im Fokus haben – auf diese konzentrieren wir uns beispielsweise bei CMS.

Hinsichtlich der Lösungen unterscheiden wir mehrere Strömungen. Seit dem Aufkommen von generativer KI kann zunächst unterschieden werden zwischen schwerpunktmäßig algorithmischen und wahrscheinlichkeitsbasierten Systemen. Zu den algorithmischen Systemen zählen die meisten Dokumentenautomatisierungslösungen, Kollaborationsplattformen sowie Tools zur Erstellung von Entscheidungsbäumen und darauf basierenden Abfragen. Bei den nicht-algorithmischen Lösungen sind die Strömungen noch nicht final ausgereift. Wir beobachten aktuell Tools zum sogenannten Document Q&A, sprich, fragenbasiertem Review und/oder Zusammenfassung von Dokumenten. Außerdem Drafting Tools, die basierend auf einem per Prompt mitgegebenem Input Verträge oder Klauseln entwerfen. Verbreitet sind auch Lösungen, die Fragen zu einer konkreten Auswahl an Dokumenten beantworten, wie zum Beispiel Compliance-Bots. Hier werden die Compliance-Policies des Unternehmens hinterlegt und der Bot dahingehend optimiert, nur Fragen zu den hinterlegten Policies zu beantworten.
 

Wie hat sich die Legal-Tech-Branche in den letzten Jahren entwickelt? Wie viele Rechtsabteilungen haben Ihre Prozesse bereits angepasst? 

Larissa Böhme: Technologie spielt eine zunehmend bedeutende Rolle in der Rechtspraxis. Technologische Innovationen haben den Weg für Effizienzsteigerungen, Kosteneinsparungen und eine verbesserte rechtliche Dienstleistungsbereitstellung, zum Beispiel durch Self-Service-Tools für Business Einheiten, geebnet. 

Hierher war es aber auch ein langer Weg. Vor acht bis zehn Jahren löste der erste große Hype um Legal Tech mit teilweise - gemessen auch an der Reife der Legal-Tech-Startups überzogenen Erwartungen - eine gewisse Ernüchterung bei einigen Juristinnen und Juristen aus.  Heute ist der Einsatz von Technologien auf dem Rechtsmarkt nicht mehr wegzudenken. Gerade generative KI gibt Legal Tech aktuell einen neuen Schub.

Immer mehr Rechtsabteilungen erkennen den Wert von Technologien. Die genaue Anzahl der Rechtsabteilungen, die ihre Prozesse bereits angepasst haben, ist schwer zu quantifizieren, da dies von verschiedenen Faktoren wie Unternehmensgröße, Industrie und rechtlichen Anforderungen abhängt. Doch die Tendenz ist klar: Unternehmen aller Größenordnungen und Branchen setzen verstärkt auf technologische Lösungen, um ihre Abläufe zu optimieren. Vor zwei Jahren waren es aber weniger als 10 % aller deutschen Rechtsabteilungen, die tatsächlich transformativ und von einer Strategie begleitet größere Legal Operations Teams beschäftigten. Einige haben beispielsweise juristische Entscheidungsbäume in Apps gegossen, Dokumente automatisiert und juristische Daten analysiert, um tatsächlich die juristische Arbeit zu verändern. Mehr Rechtsabteilungen haben dagegen zunächst an eher operativen Prozessverbesserungen, zum Beispiel durch den Einsatz von Vertragsmanagement-Tools, Spend Management Tools oder Jira gearbeitet. 
Die Entwicklung in der Legal-Tech-Branche ist dynamisch und wird weiterhin von Innovationen und Anpassungen geprägt sein. Wer sich und sein Team mit notwendigen Fähigkeiten und Kenntnissen ausstattet, wird hierfür gut vorbereitet sein.
 

Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit Legal Tech zu beschäftigen? 

Julia Mergenthaler: Nach Ende meines Jurastudiums habe ich mich zunehmend für IT interessiert und einen Programmierkurs gemacht. Ich fragte mich, wie ich dieses Interesse mit meiner juristischen Ausbildung kombinieren könnte. Legal Tech war die Antwort darauf. Mich faszinieren daran vor allem zwei Aspekte. Einerseits sehe ich Parallelen in der Regelhaftigkeit von juristischen Denkprozessen und Programmierlogiken. Andererseits ist die Tätigkeit im Legal-Tech-Bereich enorm kreativ und ermöglicht es, immer wieder nach Lösungen abseits der gewohnten Wege zu suchen. Das von Legal-Tech -Lösungen abgedeckte Spektrum ist außerdem sehr breit und erfordert ständige Weiterentwicklung, ständiges Lernen. In der aktuellen Bewegung rund um generative KI versuche ich zum Beispiel, deren Grundlagen zu verstehen und sie in den Kontext bestehender Lösungen zu setzen. Für einen neugierigen Kopf wie meinen ist das genau das Richtige.
 

Welche Rolle spielen Innovation und Technologie in der Zukunft des juristischen Berufs? 

Larissa Böhme: Die Zukunft des Rechtsberufs wird durch Legal-Tech-Lösungen geprägt sein, die es Anwältinnen und Anwälten ermöglichen, sich mehr auf strategische und wertschöpfende Tätigkeiten zu konzentrieren. Administrative und stark repetitive Tätigkeiten werden abnehmen. 
Dieser Wandel erfordert jedoch auch eine kontinuierliche Weiterbildung und Anpassung der Fachkräfte, um die Potenziale der sich schnell entwickelnden Technologien nutzen und die dafür notwendigen neuen Strukturen, zum Beispiel im Bereich Wissens- und Change Management, aufzubauen. Wenn beispielsweise generative KI juristische Inhalte erstellt, werden Juristinnen und Juristen diese nach wie vor auf ihre Richtigkeit überprüfen müssen. Gleichzeitig werden sich hiermit neue Fragen in Hinblick auf die Ausbildung und die Arbeit von Rechtsexpertinnen und -experten stellen. 
 

Wie profitieren Rechtsabteilungen von Legal Tech?

Larissa Böhme: Rechtsabteilungen profitieren von Legal Tech, indem sie bessere Business Partner für ihre internen Mandanten werden, Zeit und Geld bei der Bewältigung von Routineaufgaben einsparen und für innovative Mitarbeitende attraktiv werden. Zudem unterstützen Analysetools und Datenvisualisierungen eine fundiertere Entscheidungsfindung und verbesserte Risikobewertung.
 

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie die richtigen Legal-Tech-Lösungen auswählen?

Julia Mergenthaler: Bei der Auswahl der "richtigen" Legal-Tech-Lösung kommt es vor allem darauf an, eine für das Unternehmen passende Lösung auszusuchen. Der erste Schritt ist daher die Erfassung des Status Quo: Wie sehen die aktuellen Prozesse der Mitarbeitenden in der Rechtsabteilung aus? Welche Aufgaben erfordern besonders viel Zeit? Welche Aufgaben landen immer wieder auf dem Tisch? Welche Erwartungen haben andere Stakeholder im Unternehmen hinsichtlich der Arbeit der Rechtsabteilung? Welche Datenbestände und welche (personellen) Ressourcen sind wie nutzbar? Hat das Unternehmen Kapazitäten zur Begleitung einer Eigenentwicklung oder ist das Einkaufen einer Lösung sinnvoller?
Zieht ein Unternehmen die Ausarbeitung und Implementierung einer Legal-Tech-Strategie in Betracht, ist es wichtig, die dahinter liegenden Interessen und Beweggründe zu verstehen. Nehmen wir ein Beispiel: Die Personalabteilung ist unzufrieden damit, wie lange die Rechtsabteilung für die Erstellung von Arbeitsverträgen benötigt. Für die zuständige Mitarbeiterin in der Rechtsabteilung liegt der Fokus darauf, mögliche Risiken in neuen Arbeitsverträgen zu minimieren und den bestmöglichen Arbeitsvertrag auszuarbeiten. Für die Personalabteilung führt die lange Bearbeitungsdauer dazu, dass neu einzustellende Personen häufig nachfragen und teilweise sogar abspringen. Wir haben also zwei in Konflikt stehende Interessen: Die möglichst schnelle Bereitstellung der neuen Arbeitsverträge einerseits, die Risikominimierung andererseits. Hier kann beispielsweise eine Vertragsautomatisierungslösung helfen.
Welche Lösung die Richtige ist, hängt von mehreren Faktoren ab, zum Beispiel von der Tech-Affinität der Personen, die die Lösung bedienen sollen. Die Bedienbarkeit des Tools muss zu den technischen Vorkenntnissen der Zielgruppe passen. Außerdem ist je nach Branche wichtig auf Lösungen zu setzen, die ein mit Informationssicherheits- und Compliance-Vorgaben konformes Hosting anbieten. Kommt beispielsweise lediglich ein Hosting beim Unternehmen selbst ("on premise") in Betracht, so reduziert sich die Auswahl an möglichen Lösungen erheblich.  
 

Was sind typische Hürden bei der Einführung von digitalen Prozessen und Technologien in Rechtsabteilungen? 

Larissa Böhme: Die Angst vor Veränderung ist menschlich, denn jede Abweichung vom Gewohnten ist erstmal mühsam. Das Change Management ist daher nicht zu unterschätzen. Auch sind viele Rechtsabteilungen durch vermehrtes Insourcing am Rande ihrer Kapazität. Entsprechend schwierig ist es, genug Zeit für Innovationsthemen, Prozessworkshops und das Aufstellen von Standardisierungen als Fundament für die Automatisierung aufzustellen. Zudem ist Digitalisierung ein Leadership-Thema. Ohne Unterstützung der Geschäftsführung wird eine Transformation, die auch ein entsprechendes Budget braucht, nur sehr zäh funktionieren.
 

Welche Vorteile bietet der Lehrgang “Legal Tech & Operations Manager” für Teilnehmende? Warum sollten Teilnehmende den Lehrgang besuchen? 

Larissa Böhme: Der Lehrgang “Legal Tech & Operations Manager” ist sehr praxisorientiert und kompakt aufgebaut. Wer mitmacht, kann Frameworks, Methoden, Wissen und das Grundgerüst seiner Digitalstrategie als Grundlage für die weitere Ausarbeitung in seinem Unternehmen mitnehmen. Teilnehmende profitieren von vier langjährigen Praktikern mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Zudem kann ein Netzwerk für einen späteren Praxisaustausch aufgebaut werden. Am wichtigsten ist aber: Der Lehrgang wird interaktiv sein und Spaß machen. 

Erfahren Sie hier mehr zu dem Lehrgang: Legal Tech & Operations Manager